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21. Mai 2020 von Bernd Boden

Schreiben in Zeiten der Dystopie

Schreiben in Zeiten der Dystopie
21. Mai 2020 von Bernd Boden

Dystopien wie George Orwells „1984“ oder Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ hat die Zeit inzwischen längst eingeholt und angesichts der grundlegen Veränderungen, welche die Covid19-Pandemie weltweit in noch nie dagewesener Weise auslöst, scheint der Stoff so mancher Dystopie jetzt erschreckend nahegerückt zu sein. Fast könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass hier bekannte dystopische Fiktionen die Realität zu überlagern beginnen. Eigentümlicherweise hat die Pandemie Albert Camus’ Roman „Die Pest“ zu einer Renaissance verholfen, ganz so, als würde, solange man nicht selbst betroffen ist, in diesen Zeiten von einer Katastrophe zu lesen, dem Erleben der aktuellen Situation noch den letzten Thrill verpassen.

Mich als Autor interessiert in diesem Zusammenhang naturgemäß neben dem Lesen auch das Schreiben. Im Zuge der Pandemie ist eine hitzige Diskussion um Freiheit und staatliche Lenkung entbrannt. Das wirft ganz plötzlich auch auf die Problematik von BigData in der Near-Future-Geschichte der Überwachungsdystopie in „Dismatched“ ein anderes Licht. Ich frage mich, wie lange es wohl etwa in China noch dauert, bis auch hier die gesellschaftliche Realität die Strategie von Mittelung, SocialUnits, SocialScore und MatchingLoops, wie ich sie im Plot der Urb entwickele, eingeholt hat.

Schreiben ist ein einsames Geschäft. Aber wenn man nicht gerade als Robinson auf einer Insel Tagebuch schreibt, existiert um denjenigen, der allein sein Garn vor sich hin spinnt, eine ganze Welt, in die er von seinen Kopfgeburten jederzeit wieder zurückkehren und an der er teilhaben kann.

Für mich als Autor, der die beiden ersten Teile seiner als Trilogie angelegten Dystopie fertiggestellt hat, ist in diesem Zusammenhang die gewissermaßen finale Frage folgende: Würdest du, wenn du als einziger Mensch die Apokalypse überlebt hättest, noch schreiben? Vorausgesetzt, du wärst abgesichert und müsstest nicht ständig ums Überleben kämpfen, würdest du als letzter noch lebende Mensch dann noch schreiben wollen?

„Lesen ist betreutes Träumen“ sagt die Kunsterzieherin Anka Rahn. Umgekehrt bedeutet für mich Schreiben, mich aktiv in andere Welten und Personen hineinzufühlen.

Im Schreiben begegne ich mir selbst in Facetten, Höhen und Abgründen, die ich niemals erleben könnte, würde ich nicht bewusst meine Fühler in die verheißungsvolle Weite einer leeren WordSeite ausstrecken, um mich so auszuprobieren.

Mich dann ganz allmählich einer Welt gegenüberzusehen, die immer mehr Raum greift und sich zusehends verselbstständigt; Figuren zu entwickeln, die immer eigenständiger werden und beginnen, individuelle Forderungen zu stellen, gehört zu den beglückendsten Erfahrungen, die ich bislang machen durfte.

Warum ist das so?

Aristoteles kennzeichnet den Menschen als „zoon politikon“. Wir Menschen sind soziale Tiere. So, wie wir ohne Sprache nicht denken können, können wir ohne ein Du kein Bewusstsein unserer selbst haben: Wer Ich sagt, sagt damit immer auch Du. Nur, indem uns andere widerständig sind, wir uns von ihnen abgrenzen und ihre Nähe suchen, uns an ihnen reiben und uns an sie schmiegen, sie lieben und hassen, fürchten und ersehnen, verfluchen und vergöttern, an ihnen wachsen und schrumpfen, sie vermissen und abgeschrieben haben, sie suchen und finden, gewinnen wir selbst an Identität und Kontur.

Als Autor schaffe ich mir nun ein Du in Form meiner ganz eigenen Welt. Habe ich das zunächst noch in der Hand, fangen die Dinge irgendwann an, ein Eigenleben zu führen. Exakt an diesem Punkt beginnt dann das Abenteuer. Ich plane, recherchiere, konstruiere, aber urplötzlich werde ich fortgerissen, schlägt die Stunde der Phantasie, die ihre schillernden, hellen und dunklen Schwingen ausbreitet und mich in Gefilde entführt, die ich weder geplant habe noch absehen konnte. Das erleben zu dürfen, empfinde ich als Gnade.

Ein Buch zu schreiben ist für mich ein wenig so, wie ein Kind zu haben. Zwar habe ich es gezeugt und kann anfangs noch großen Einfluss nehmen, doch mit zunehmendem Alter entwickelt es sich zu einer völlig eigenständigen Persönlichkeit. Wenn ich jetzt mein Buch, einige Zeit, nachdem es vollendet ist, aufschlage, fühlt sich das in etwa so an, als würde mir meine erwachsene Tochter begegnen (die dieses Eiland im Cyberspace gestaltet hat). Zwar bin ich der Ursprung, doch tritt mir in meinem Buch etwas entgegen, von dem ich nicht mehr sagen kann, wie es zu dem geworden ist, was es ist. Das ist überaus erstaunlich und macht für mich die Faszination des Schreibens aus.

Davon einmal abgesehen geht es beim Schreiben sicher auch um „Ruhm und Ehre“. „Wer schreibt, der bleibt“, heißt es. Ich glaube, beim Schreiben intendiert man immer auch ein fremdes Du, das über die eigene Selbstreflexion und das unmittelbare AlterEgo hinausgeht. Ein noch unbekanntes Du, das man sich aber möglicherweise anverwandeln und vertraut machen kann. Und so hoffe ich natürlich, dass jemand im Meer des Cyberspce an den Strand dieses Eilands gespült wird, dies hier liest und vielleicht auch einen Kommentar in den digitalen Sand kratzt.

Um abschließend zu meiner Ausgangsfrage zurückzukommen: Was also würde sein, wenn ich der letzte Mensch wäre oder zumindest glauben würde, es zu sein. Natürlich, natürlich würde ich lesen. Im Lesen wäre mir die untergegangene Welt in schwarzen Zeichen auf weißem Grund immer noch gegenwärtig. Und ich würde schreiben, nicht nur schreiben wollen, sondern geradezu schreiben müssen. Um als soziales Tier nicht wahnsinnig zu werden, würde und müsste ich versuchen, mir in einem einsamen inneren Dialog selbst gegenüberzutreten, um die leer gewischte Welt mit AlterEgos und Schicksalen zu bevölkern und so im Schreiben meine Vergangenheit aufzuarbeiten, meine Verlorenheit zu spiegeln und vielleicht bewältigen zu können.

Vielleicht versetze ich mich ja einmal in diese Lage – und schreibe darüber …

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